Das ist eine berechtigte Frage & ich als Muslim verstehe das. Klar, wenn man hier in der „westlichen Welt“ aufgewachsen ist, wenig bis gar nichts mit Religion zu tun hatte & plötzlich das Erste was man vom Islam hört
„Terroranschlag: Flugzeuge sind in das World-Trade-Center gestürzt, es gibt mehrere Tote – Al-Qaida bekennt sich zu diesem Attentat.“
ist, dann ist das Vertrauen weg.
Vertrauensverlust ist wie eine klaffende Wunde, die Zeit braucht um zu heilen. Genau diese Zeit wurde Muslimen nicht eingeräumt. Zwei Jahre nach 9/11 griff Georg W. Bush Irak an. Er sagte, Gott habe mit ihm geredet & ihm gesagt die „Tyrannei“ im Irak zu beenden. Saddam Hussein wurde gestürzt, der Kriegsgrund „Sie haben Massenvernichtungswaffen“ wurde bis heute nicht bewiesen. Stattdessen starben über eine halbe Million Menschen durch den Irakkrieg. Millionen Menschen beobachten das Ganze durch den Fernseher & Radio. In tausenden Talkshows, Radiobeiträgen, Artikeln, Filmen & sogar Serien wird jahrzehntelang versucht ein Feindbild durch die Verschmelzung von „Terror“ & „Islam“ in den Köpfen der Menschen zu implantieren. Aktuelle Studien sprechen von einer 500%igen Häufigkeit der Berichterstattung bei muslimischen Attentätern im Vergleich zu nicht-muslimischen Attentätern. Das Feinbild ist also nahezu perfekt.
Man ist als strenggläubiger Muslim automatisch vorbelastet. Dabei sind Terroristen streng genommen keineswegs strenggläubig. Nehmen wir als Beispiel Anis Amri, ein 24-jähriger Tunesier, der mit Drogen dealte, regelmäßig Ecstasy & Kokain konsumierte. Er Fastete nicht im Ramadan & trank Alkohol. Orthodox/strenggläubig? Keineswegs! Eher ein „Kulturmuslim“, wie Beatrix von Storch in einem Gespräch mit dem Rechtsfluenzer Feroz Khan, sagen würde.
Apropos Beatrix von Storch. 2015 war das Jahr der „Masseneinwanderung“, 2015 war auch das Jahr als die AfD durch ihren rechtsextremen Kurs alle selbsternannten „Islamkritiker“, Islam- & Ausländerhasser aus den Rändern der Gesellschaft in die Mitte katapultierte. Der scharfe, unsachliche, hetzerische & rechtsradikale Ton dieser Partei wirkte wie eine Axt, die zur endgültigen Spaltung der Gesellschaft führte. Wutbürger vs. Gutmenschen, rechtsradikal vs. linksradikal, rechtsextrem vs. linksgrün versifft. So sieht es aus, wenn man einen Blick in die Medienlandschaft Deutschlands und auch in den Diskussionen auf Twitter/Facebook etc., wirft. So sieht es aus, doch der Blick trügt.
Der Blickt trügt, weil Fakten und Informationen fehlen. 2015 war das Jahr der Massenmigration, aber es war auch das schlimmste Jahr der Syrienkrise. Laut Wikipedia waren 2015 11,6 Millionen Syrer auf der Flucht, davon 6,3 Millionen allein innerhalb Syriens. Die größte Gruppe, die in diesem Jahr einwanderte, waren Syrer. Die Mitverantwortlichkeit am Syrienkrieg ergibt sich aus den Waffenexporten unseres Landes, welche dann in die Hände des IS fielen. Richtig ist, dass bei der Aufnahme von so vielen Flüchtlingen wenig auf Sorgfalt geachtet wurde. Falsch wäre gewesen, dass wir gar keine Menschen, die vor Krieg, Hunger & Verfolgung fliehen, in unserem Land aufnehmen. Das wäre mit Hinblick auf die Waffenexporte ungerecht.
Vertrauensverlust durch mediale Feindbilder & politische Ungleichbehandlung von Muslimen sind für jemanden, der sich in eine Gesellschaft einbringen will, sehr schlechte Karten. Auf meiner Suche nach dem ersten Kontakt mit Muslimen in Deutschland kam ich auf rund 300 Jahren. Andere Zahlen sprechen auch von 1680. Wir haben es also in 300 Jahren nicht geschafft eindeutig zu klären wer ein „Muslim“ ist, was ihn ausmacht und vor allem: ob Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Ferda Ataman, deutsche Journalistin, fragt sich in einem Spiegel Artikel: Wer sind „die Muslime“?. Sie schreibt:
„Alle Muslime“, das sind also auch Leute, die nicht wirklich muslimisch sind. Wir verwenden die Zuschreibung als kulturelles Stigma, aus dem man nicht rauskommt. Muslim bleibt Muslim. Egal ob gläubig oder nicht. Seid ihr verrückt?
Neben dem kulturellen Stigma fließen auch Aspekte des Vertrauensverlustes mit hinein. Die meisten arabisch aussehenden Männer haben sehr wahrscheinlich folgendes Szenario erlebt: Irgendwann taut das Eis mit den Arbeitskollegen auf und da fällt der erste Witz „Na wie ist die Stimmung bei dir daheim? BOMBENSTIMMUNG!“. Als gutgläubiger arabisch aussehender Mann lacht man mit. Aber solche „Witze“ zeigen in welcher Schublade „arabisch aussehende Männer“ hineingeworfen werden. Der neue Vizepräsident des Verfassungsschutzes heißt Sinan Selen und ist Kind türkischer Einwanderer. Aber für Johannes Huber ist er ein Muslim. Die Wahrheit ist aber:
Selen ist gar kein Muslim, seine Eltern sind säkulare Türken, sie kamen nach Deutschland, als ihr Sohn vier Jahre alt war. Sie stellten ihm frei, welche Religion er wählen wolle. Selen engagierte sich schon in Schulzeiten bei den Johannitern und fühlt sich der christlichen Lehre verbunden. Zu Weihnachten wird er mit der Familie in die Kirche gehen.
Puuuh… die Vorbelastung einem Muslim gegenüber, der im Zweifelsfall überhaupt keiner ist, ist riesig. Wenn er also Pech hat, dann landet er in einem Topf mit Terroristen, Vergewaltigern und anderen Schwerkriminellen. Als strenggläubiger Muslim, der 5x/Tag betet, aus dem Koran rezitiert und gemäß der islamischen Prinzipien lebt, hat man auf gut Deutsch gesagt „die Arschkarte gezogen“. Und es ist immer noch unklar wer genau „Muslim“ ist, ob „der Islam zu Deutschland gehört“ und vor allem: was genau heißt denn „Strenggläubigkeit“?
Hierzu lade ich Dich ein – in den nächsten Blogbeiträgen werde ich versuchen diese Fragen aus meiner persönlichen Überzeugung heraus zu beantworten. Ich möchte Dir zeigen, wie ein Muslim seine Umwelt erlebt, was er denkt und wie er sich fühlt. Das ist ein Versuch zur Völkerverständigung, durch Dialog.
Ich bin Muslim. Vertrau mir.