Früher, als ich jünger war, war Maajid Nawaz einer meiner großen Helden. Ein junger Mensch sucht sich häufig Vorbilder und ich war ein junger Muslim, welcher auch an progressive und „liberale“ Werte glaubte. Ich sprach auch wie er von den „regressiven Linken“, welche zu „weich“ gegenüber den „orthodoxen“ Muslimen sind. Um ehrlich zu sein rannte ich jedem jubelnd hinterher der sich „Muslim“ und „progressiv/liberal/reform… etc.“ nannte.
Die Ersten, die mein idealisiertes Bild von „Reform-Muslimen“ bröckeln ließen waren waren „Imam“ Mohammed Tawhidi und Asra Q. Nomani. Die fand (und finde ich noch) furchtbar. Mir viel auch später auf, dass Personen wie Maajid Nawaz, Ahmad Mansour, Seyran Ates usw. eher nicht-muslimische, tendenzielle eher politisch konservative Bewunderer hatten, als Muslime. Und dass sie eher als „Islamkritiker“ wahrgenommen wurden, als „Reform-Muslime“. Letzteres schien auch nicht sonderlich verwunderlich. Wenn man sich Fr. Ates z.B. auf Social Media ansieht, dann bekommt man eine Menge Kritik an Muslimen, aber sehr wenig Einblick in ihr Verständnis von Islam, oder was Islam für sie ausmacht. Wäre sie keine Imamin würde ich nicht auf die Idee kommen sie sei Muslima. Da stellte sich mir schon die Frage: Für wen machen diese Leute „Reform-Islam“ eigentlich? Wirklich für Muslime?
Mit dem Studium der Religionswissenschaft fing ich auch an die (Kampf-)Begriffe bzw. die gängigen Phrasen in Frage zu stellen: „Der Islam braucht einen ‚Luther‘, eine Reformation wie das Christentum.“ Die Luther-Analogie hat Abdel-Hakim Ourghi ja in die Tat umgesetzt, mit seinen „Thesen“ (die eigentlich keine waren) geschlagen gegen die Dar-Assalam-Moschee. Brauchen wir aber wirklich einen Luther? Ich habe Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit eigentlich nicht als Mangelwahre in der Ummah wahrgenommen. Generell hatten die Ikonen der christlichen Reformation (wie Luther, Calvin & Co.) mehr mit den Vordenkern der Salafiyya und Wahhabiyya gemeinsam, als mit jenen die wir heute „Reform-Muslime“ nennen. Und man sollte nicht vergessen: Ku-Klux-Klan, Westboro Baptist Church usw. das sind Mitglieder reformierter Kirchen. Ich möchte jetzt nicht die Errungenschaften der christlichen Reformatoren runter spielen. Sie haben die Deutungshoheit von einer Kirche weggenommen, eine die es jedoch im Islam nicht gibt. Das Konzept der Kirche ist (vor allem dem sunnitischen) Islam fremd. Es kann also im Islam keine Reformation wie „die christliche“ geben.
Ein anderer beliebter Satz: „Der Islam braucht eine Aufklärung wie die Europäische.“ Wir müssen sozusagen Voltair, Rousseau, Kant, Hume und Locke erst einmal importieren um weiter zu kommen. Voltair war ein Rassist und ein Antisemit. Ich würde ihn jeder Zeit gegen Ibn Rushd eintauschen. Generell können Ibn Rushd, Ibn Sinan, al-Farabi, Ibn Arabi usw. sehr gut mit den europäischen Aufklärern mithalten. Selbst in Sachen Religionskritik hat die islamische Geschichte mit Al-Ma’arri, Omar Khayyam und Attar schon ganz gute Vorbilder.
Jetzt wird die Zeit der europäischen Vordenker der Moderne, noch gerne auf das 19. Jhd. erweitert. Nietzsche, Marx, Feuerbach, Schleiermacher etc. Aber auch zu dieser Zeit gab es vorbildliche Denker der sog. „islamischen“ Welt denen auch die Ideen jener genannten europäischen Denker nicht fremd waren: Muhammad Abduh, Dschmal ad-Din al-Afghani, Mirza Ghulam Ahmad und wenn wir ins 20. Jhd. gehen, dann haben wir noch Ali Shariati, Ali ibn Abdel-Raziq, Taha Hussein usw.
Und da haben wir den „Eurozentrismus“. Alles wird mit europäischen Maßstäben gemessen, egal wie falsch sie sind. Die „islamische“ Welt ist nicht irgendwo stehengeblieben wo die „westliche“ weiter gegangen ist. Nein, sie hat sich ganz anders entwickelt. Die Aufklärung z.B. ist ein Kind der Renaissance. Eine Renaissance welche zu jener Zeit in der islamischen Welt gar nicht notwendig war, weil nichts „wieder geboren“ werden musste. Mann musste Aristoteles, Plato, Sokrates usw. nicht neu entdecken. Die heutigen, islamistischen Bewegungen sind moderne Phänomene: das ist kein „Mittelalter-Islam“, das ist der „moderne Islam“. Es ist eine grässliche Moderne, eine furchtbare Moderne, dennoch modern. Wir sind nicht stehen geblieben. Kolonialismus, nationalistische Bewegungen, Kalter Krieg, simple Armut…all das hat das „Heutige „geformt.
Jetzt ist es aber so, dass viele jener „Reform-Muslime“ diese eurozentrischen Ansichten teilen. Es wird sogar von einem Islam „deutscher Prägung“ hier zu Lande geredet. Ist Progressivität jetzt „deutsch“? Muss Islam erst „deutsch“ bzw. „europäisch“ werden um progressive zu sein? Weil die „Wilden“ ihre Religion nicht modernisieren können, müssen Europäer das machen, oder was? Allein islamisch-theologisch ist dieser Begriff Schwachsinn. Islam versteht sich als überall anwendbar. Als universell. Jenseits von Ort, Ethnie und Nation. Ein „Reform-Islam“ muss das auch sein. Wenn er solche Begriffe benutzt, dann ist er schon zum Scheitern verurteilt. Und das ist nicht das Einzige. Islam ist (wie jede Religion) ein Konstrukt „aus Menschen“. Man nimmt eine Religion nur über die Anhänger war. Die Anhänger sind die einzige „Substanz“ der Religion. Nur wenn eine Religion Anhänger hat, ist sie auch präsent. Das bedeutet: Wer innerhalb der islamischen Ummah was ändern will, muss die Denkweise der Muslime verändern, der muss Muslime „gewinnen“. Wer aber fast nur konservative, tendenziell islamkritische Nicht-Muslime als „Fans“ hat, der ist (so hart es klinkt) als Reformer WERTLOS. Um ehrlich zu sein: Ich brauche keinen neo-konservativen, drittklassigen Journalisten wie Henryk M. Broder, der mich wie einen Hund tätschelt und meint ich wäre einer von „den Guten“.
Kritik ist essentiell, wenn man etwas ändern will. Wenn ein „Reform-Islam“ aber nur kritisiert, dann ist er substanzlos. Es ist traurig wenn viele Muslime gegenüber „Reform-Islam“ meinen „was bleibt dann noch vom Islam übrig?“. Weil sie Islam auf Dogmen beschränken. Und trotzdem ist es etwas auf das wir eingehen müssen. Sagen was Islam für „uns“ ausmacht. Wir scheinen aber nur Islam nach „europäischen“ Vorstellungen zu machen und nicht für Muslime. Was werfen uns Islamisten vor? Das wir den „Kuffar gefallen wollen“. Das wir Islam von Innen heraus „zerstören“. Weil wir es eigentlich mit den „Feinden des Islams“ halten. So gelogen und überspitzt diese Aussagen auch sein mögen, es wird nicht viel getan um diesen Vorwurf zu widerlegen. Ich meine, welches Bild glauben denn einige Leute zu vermitteln, wenn jemand wie Hamed Abdel-Samad als „Freund“ gilt? Jemand der sagt, dass Islam essentiell faschistisch sei. Oder Maajid Nawaz der sich mit Sam Harris und Ben Shapiro rumtreibt. Um ehrlich zu sein, solchen Leuten möchte ich nicht gefallen.
Wer will das „Reform-Islam“ Erfolg hat, sollte an seinen Methoden arbeiten. Denn bis jetzt sehe ich keinen Islam für Muslime, sondern einen nach den Vorstellungen westlicher, nicht-muslimischer Neocons und Politiker.
Dieser Gastbeitrag ist von Ibn Karim Al-Muwallad
Okay, es reicht nicht, zu kritisieren, man muss ein positives Gegenmodell vom Islam entwerfen und Maajid Nawaz und Seyran Atens leisten das nach Meinung des Autors nicht. (leuchtet mir persönlich bei Maajid Nawaz nicht ein, ober okay, ich akzeptiere es mal).
Bleibt die Frage:
Wer leistet es denn? Wo ist das positive Gegenmodell und wie sieht es aus?
Wie würde der Autor sein eigenes positives Gegenmodell beschreiben?