„Für mich waren Muslime ein Tumor, der von der Erde weg operiert werden sollte“, Muslim interviewt Ex-AfD-Wähler

Hallo Marvin! Du warst früher Befürworter der NS-Ideologie, Rassentheorie und AfD-Wähler. Was hat dich zum Umdenken gebracht?

Ich habe viele verschiedene persönliche Erfahrungen mit Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlingen gemacht. Alles, was ich bis zu dem Zeitpunkt dachte war einfach nur falsch. Auch die grauenhaften Bilder des Holocausts, den ich vorher verleugnete, haben mein Denken über dieses Thema komplett verändert. Ich habe in meiner eigenen Welt gelebt in der es keine Empathie für Menschen gab, die augenscheinlich anders waren, als ich.

Was genau dachtest du über Flüchtlinge und insbesondere von Muslimen? Und hast du zwischen Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Flüchtlingen, die nicht aus dem Nahen Osten kamen, unterschieden?

Über Flüchtlinge habe ich gedacht, dass sie unser Land „einnehmen“, genauso wie es die AfD verbreitet hat. Ich habe der AfD alles abgekauft, was gegen Flüchtlinge war. Für mich waren es Messer stechende Vergewaltiger. Hinzu kam, dass ich dachte sie seien größtenteils nur Terroristen. Dass sie kein Interesse an einem friedlichen Leben in meinen Land haben. Muslime waren für mich einfach nur Kinder- und Tierschänder, die gerne Leuten Köpfe abschlagen, Frauen vergewaltigen und am liebsten alle Christen auslöschen würden. Leute, die aus dem EU Ausland nach Deutschland kommen sind größten Teils weiß und vor allem christlich. Sie stellten für mich keine Bedrohung dar. Wieso auch? Niemand skandalisiert das weiße deutsche oder europäische Täterprofil. Es stimmt, wenn Leute sagen, dass Muslime direkt als Terroristen abgestempelt werden und Deutsche als „psychisch gestört“ gelten.

Es wurde sehr oft über den IS Berichtet. Danach kamen nur noch Meldungen von Straftaten von Flüchtlingen oder Muslimen. Der AfD folgte ich eh überall hin, wo es nur ging, denn die teilen ja immer solche Verbrechen. Das alles gab mir ein Gefühl der Sicherheit, ich fühlte mich im Recht und hatte das feste Bild im Kopf, dass „die anderen“ Schuld seien und wir Stolz auf unsere Heimat und unsere Nation sein müssen. Ich hatte das Gefühl, dass wir endlich wieder das denken dürfen, was uns jahrelang verboten wurde.

Wie und wann kamst du mit der rechtsextremen Ideologie in Kontakt? Waren es Menschen, die du getroffen hast oder passierte alles über das Internet?

Das erste Mal kam ich damit in der Schule in Kontakt. Wir haben das Thema „Nationalsozialismus“ behandelt und meine Antwort zum Holocaust war „Das haben die Juden doch verdient!“. Danach habe ich im Internet sehr viele Dokus über Hitler, Himmler, den Krieg usw. gesehen. Alles Negative was über die gesagt wurde waren für mich Lügen. Ich nahm an, dass uns sowas nur eingeredet wird, damit wir uns schlecht für die Dinge, die Hitler usw. getan haben, fühlen sollen. Auf YouTube habe ich viele Videos von der „Vulgären Analyse“ gesehen. Neben VGA gibt es eine Menge von anderen YouTubern, die das rechtsextremistische und antimuslimische Weltbild verbreiten.

Wie hast Du dich gefühlt, als Du das gesehen hast? Was hast Du gedacht?

Von der VGA habe ich Videos über den Islam gesehen, im Hintergrund brannte ein Koran. Ich fand das richtig und ich fand es amüsant, wenn das Muslime sehen sie würden, denn sie machen es ja mit der Bibel nicht anders.

Hast du dich in dieser Ideologie bzw. in diesem Denken irgendwie überlegener gefühlt?

Ich habe mich besser als die ganzen „Untermenschen“, die in der Wüste irgendwelche Esel besteigen, Kinder heiraten, Leute gerne steinigen und Köpfe trennen, mehr als nur überlegen gefühlt. Für mich waren Muslime ein Tumor gewesen, der von der Erde weg operiert werden sollte. Ich dachte, dass man Flüchtlingen lieber im Meer den Fischen überlassen sollte.

Wie fühlt du dich jetzt, nachdem du das alles abgelegt hast, mit Muslimen redest und Flüchtlinge kennst? Was möchtest du erreichen?

Ich versuche mein Denken zu ändern. Das geht nicht sofort. Ich habe oft noch Gedanken die falsch, rassistisch und hasserfüllt sind. Ich habe immer noch Vorurteile gegen Leute mit anderer Herkunft. Ich kann es noch nicht steuern, es braucht Zeit. Ich versuche diese Gedanken los zu werden, was gar nicht so einfach ist, da sie noch im Unterbewusstsein sitzen. Ich weiß, dass Flüchtlinge und Muslime wie wir normale Menschen sind. Es ist eigentlich traurig, dass ich das erst lernen musste. Klar gibt es auch Extremisten unter ihnen, aber die gibt es auch bei uns. Aber bei den Deutschen denke ich ja nicht sofort, dass man mir was böses will. Mein Wunsch ist, dass nicht nur ich, sondern jeder seine Gedanken und Handlungen gegenüber Menschen hinterfragt. Es ist das Verhalten, dass sich gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe, oder Frauen mit Kopftuch etc., ändert. Man merkt es im ersten Moment nicht, man macht es einfach, weil es irgendwo auch „normal“ geworden ist. Man darf vereinzelte Probleme nicht auf die Masse beziehen, man sollte sie aber auch nicht verschweigen. Man darf einfach nicht pauschalisieren. Bei niemandem.

Lieber Marvin, ich danke Dir für das ehrliche und – wie ich finde – äußerst selbstreflektierende Gespräch. Ich bin sehr guter Hoffnung, dass in Dir ein Umdenken stattfinden wird.

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