Hinweis für den Leser: Ich habe diesen Artikel in zwei Hälften geschrieben. Die erste Hälfte: kurzer politischer Einblick. Zweite Hälfte: Übergang ins Theologische, etwas ausführlicher.
1. Hälfte: Sowohl Rechtsextremisten, als auch Islamisten, hassen gläubige Muslime
Ich frage mich was passiert wäre, wenn der Begründer der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, Seine Heiligkeit Mirza Ghulam Ahmad (as) heute in der Öffentlichkeit folgendes gesagt hätte:
Kein solcher Mahdi oder Messias wird kommen, der die Erde mit Blut übergießen wird und dessen Wunder darin bestehen wird, Menschen mit Zwang zum Islam zu bekehren.
In Pakistan käme er dafür aufgrund des Verstoßes gegen das Blasphemiegesetzes und der Anti-Ahmadiyya Gesetze ins Gefängnis. In manchen arabischen Ländern ebenso. In europäischen Ländern wäre er heftiger Anfeindung und Schmähung seitens radikal islamistischer Muslime und rechtsextremer Bewegungen ausgesetzt. Die AfD würde versuchen wollen seine Lehre zu verbieten. Das ist jedoch kein fernes Denken. Das ist Realität:
#PrisonerOfConscience: Abdul Shakoor, detained #Pakistan since 2015 for his #Ahmadiyya faith and stirring up „religious hatred“ and „sectarianism.“
Learn more: https://t.co/WW8JNKOuHw pic.twitter.com/xZiySGaXkH
— USCIRF (@USCIRF) 29. August 2018
Herr Shakoor wurde in Pakistan wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Blasphemiegesetz zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er den Koran in seinem Buchladen verkaufte. Vor Kurzem wurde er nach 3 Jahren freigelassen. Das menschenfeindliche Blasphemiegesetz in Pakistan ist jedoch immer noch da.
Die rechtsextreme AfD möchte durch ähnliche islamistische Methoden einen Verbot der Ahmadiyya Gemeinde in Deutschland bewirken. Wie gesagt, das ist kein fernes Denken, sondern Realität, die sich in Deutschland und Europa durch neo-faschistisches Denken wiederspiegelt. Der Unterschied liegt jedoch in der medialen Kritik gegenüber Rechtsextremismus und Islamismus.
Seit Jahren diskutieren wir Islamismus & islamistischen Terrorismus. Wir sollten anfangen, die AfD im Kontext des rechtsextremist. Terrorismus zu betrachten. Was sind Gemeinsamkeiten? Wo liegen Unterschiede? Welche konzeptionellen Überschneidungen bestehen zw. AfD & Islamismus.
— Peter Nagel ?? (@drpeternagel) 24. März 2019
Und damit hat Herr Nagel völlig Recht. Statistiken zeigen unlängst das, was Muslime seit Jahren monieren: Ist es ein nicht-muslimischer Attentäter, dann sprechen Medien schnell von einem „psychisch gestörten Einzeltäter“, und „radikal islamistischer Terrorist“, wenn der Attentäter muslimisch ausgesehen oder etwas islamisches gesagt hat. Das soll aber keine Rechtfertigung für Islamismus sein, denn dieser ist nach wie vor real, genauso real wie Islamfeindlichkeit und rechter Terror, über den bisher keine einzige Talkshow-Sendung sich zu schade war um darüber zu sprechen. Stattdessen wurde 2 Tage nach dem rechten Terroranschlag, am 17. März 2019, bei Anne Will über „Wann macht Arbeit krank?“ gesprochen. Ein Tag später, am 18. März, bei hartaberfair über „Frauen unter Druck, Männer am Drücker: Alles so wie immer?“, am 19. bei Maischberger über den Brexit und am 21. über die EU. Am 22. März 2019 schreibt Khola Maryam Hübsch in einem Artikel:
„Nach islamistischen Anschlägen wird von westlichen Muslimen oft gefordert, selbstkritisch zu sein und sich von Gewalt zu distanzieren. Eine solche Selbstbefragung der westlichen Gesellschaft wäre auch beim Terror Rechtsextremer nötig.“
Ohne Zweifel ist Islamismus eine Bedrohung, die nicht ignoriert werden kann. Aber eine Schieflage, die durch das Messen von zweierlei Maß und pauschaler „Islamkritik“, sowie einer konservativen Verbotspolitik, trifft alle Muslime in Deutschland. Ferner führt ein derartiges Vorgehen zu noch mehr Unfrieden in der Bevölkerung. Doch was hat der Begründer der Ahmadiyya Muslim Gemeinde mit diesen Dingen zu tun?
Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (as) kritisierte schon vor über 100 Jahren eben diesen muslimisch politischen Extremismus, den wir heute „Islamismus“ nennen, im indischen Subkontinent so scharf, dass er damals und seine Anhänger heute dafür politisch verfolgt wurden und werden.
Gleichzeitig bat er neben Kritik – statt einer Verbotspolitik – ein auf Lösung basierendes religiöses Konzepte durch Gebrauch der islamischen Praxis an. Er verstarb am 26. Mai 1908 auf seinem Bett. Seine letzten Worte waren „O Allah, mein geliebter Allah“. Seine Botschaft des Friedens und des Zusammenhaltes erreichte bis heute mehrere zehn Millionen Menschen, in nahezu allen Ländern der Erde, die sich ihm anschlossen. Seine Gemeinde ist in der modernen Zeit einzigartig: Seit 1908 leben Ahmadiyya Muslime in einem islamischen Kalifat, jenes Kalifat, dass sein Erbe fortführt. Dieses Kalifat ist nicht im Geringsten mit dem sogenannten Kalifat der politischen Terror-Organisation des „IS“ vergleichbar, dessen Sympathisanten der „Jamaat-e-Islami“ 94 Ahmadiyya Muslime am 28. Mai 2010 in einem islamistischen Terroranschlag in Lahore, Pakistan — ähnlich dem rechtsextremen Terroranschlag in Christchurch, Neu-Seeland — während des heiligen Freitagsgebetes in 2 Moscheen massakrierten. Es ist ein reines spirituelles Kalifat, dass weder Herrschaft, noch Zwang, Hass oder Terror kennt.
Der jetzige fünfte Kalif, Seine Heiligkeit Mirza Masroor Ahmad (atba), sagte diesbezüglich:
Nun lade ich meine/n Leser*in zur zweiten Hälfte dieses Artikels ein:
2. Hälfte: Wirkliche Kritik am Islamismus
Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (as) war ein Visionär, er war seiner Zeit und den Menschen aus seiner Umgebung weit voraus. Er lebte zwischen Christen, Hindus und Buddhisten. Wie bereits gesagt, sprach er vom politisch (extremistischem) Vorgehen, als es noch keine „Islamkritiker“ gab. Er sprach sich schon damals gegen Zwang, Terror und Gewalt im Namen des Islam, aus und setzte sich für Zusammenhalt, lang anhaltenden Frieden und Barmherzigkeit gegenüber allen Geschöpfen, ein. Viele Revoluzzer und Visionäre wurden für ihre Ansichten angefeindet. Sie wurden „Ketzer“ und „Ungläubige“ genannt, sie wurden in Kerkern gesteckt, man hat sie verfolgt und diskriminiert, weil sie vorherrschende Meinungen aus Wissenschaft, Religion, Philosophie usw. in Frage stellten. Hadhrat Ahmad (as) wurde Anti-Christ genannt, Ungläubiger und Ketzer und jemand, der die muslimische Welt zerstören möchte. Diese Sichtweise hat sich bis heute in den Köpfen von vielen Muslimen verankert. Das Thema „Ahmadiyya“ ist unter Muslimen oft ein Tabuthema, obwohl es eigentlich ein recht interessantes Thema ist.
Die heutige vorherrschende Meinung unter den meisten muslimischen Gelehrten (und auch unter vielen Christen) ist, dass die eschatologische Figur von Jesus vom Himmel physisch herabsteigen wird um die Welt durch Blut vergießen und Zwang vor Chaos und Untergang zu retten. Hier überschneiden sich Religion und politischer Extremismus. Und über diese Überschneidung ist es, wenn wir vom „Islamismus“ sprechen, der sich zwar nach außen religiös zeigt, aber in Wirklichkeit politisch motiviert ist. Diese vorherrschende Meinung hat Hadhrat Ahmad (as) in seinen Büchern, und durch die Inanspruchnahme des Titels des Messias und Mahdi, nicht nur in Frage gestellt, er hat sie widerlegt. Die Lösung des Problems „Islamismus“ ist nicht etwa ein Verbot des Islam, sondern das Anbieten des wahren Islam bzw. des wahren Islamverständnisses:
Die islamische Lehre von Hadhrat Ahmad (as) beinhaltet Kritik an der vorherrschenden religiösen Praxis der Muslime, die Lösungsorientiert ist. Sie beinhaltet spirituelle Deradikalisierungs-Konzepte, sowie konkrete Maßnahmen für einen dauerhaften Frieden. Ich schreibe es absichtlich im Stil eines „Angebotes“, weil jene Angebote seitens Islamkritiker meiner Meinung nach weder Lösungsorientiert sind, noch wirkliche Deradikalisierungs-Konzepte oder konkrete Maßnahmen für einen dauerhaften Frieden vorweisen können. Darüberhinaus ist dieses Angebot unverbindlich, das heißt niemand muss erst zum Ahmadiyya Muslim werden um diese Konzepte übernehmen zu können. Es ist so gesehen freies Wissen, dass auf aktuelle soziologische bzw. politische Missstände übertragen und angewendet werden kann.
Was wirkliche konstruktive Kritik an der falschen religiösen Praxis der Muslime ist, die zum politischen Extremismus bzw. Islamismus führen kann, möchte ich hier kurz anhand eines Auszuges aus dem Buch „Die Essenz des Islam Band 1 – Auszüge aus den Schriften, Reden und Bekanntmachungen des Verheißenen Messias (as) Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad“ präsentieren. Es ist keine destruktive Kritik, sondern konstruktive Kritik, die sich durch Praktizieren des eigenen Vorbildes.
Der Auszug ist etwas lang und für den Leser*in womöglich ohne Kontext hier und da unverständlich. Deshalb werde ich diesen Auszug durch eigene kurze Bemerkungen begleiten.
Die seit über 100 Jahren vorherrschende (falsche) Ansicht unter Muslimen ansprechend, dass Jesus, der Messias, vom Himmel physisch herabsteigen und zusammen mit dem Mahdi bewaffnet losziehen wird, um gegen „Ungläubige“ in den Krieg zu ziehen, schreibt Hadhrat Ahmad (as):
Sie (Anm. von mir: Messias und Mahdi) würden Blut vergießen. Sie würden keinem Mann und keiner Frau Gnade erweisen. Sie würden weder davon ablassen noch ihre Schwerter zurück in die Scheide legen, bis nicht alle Menschen den Islam angenommen haben. Sie (Anm. von mir: die heutigen muslimischen Gelehrten) sagen, der Mahdi werde nicht etwa durch himmlische Zeichen, sondern durch politisches Vorgehen die Ungläubigen zum Schweigen bringen. Er werde auf der ganzen Welt kein einziges Haus eines Ungläubigen verschonen und jedem Ansässigen und jedem Reisenden mit dem Schwert den Kopf abschlagen, außer jenen, die an ihn glauben. Er werde Krieg gegen die Christen führen. Er werde sogar jeden Menschen bekämpfen, der auf irgendeine Weise dem christlichen Volk zugehörig ist. Er werde der religiöse Führer der indischen Länder und anderer Länder sein und große Siege erringen. Er werde Männer und Frauen töten, plündern, Kriegsbeute machen und Männer wie Frauen gefangen nehmen. Der Messias (Anm. von mir: hier ist die Rede von Jesus) werde vom Himmel herabsteigen, damit er wie ein Diener ihm behilflich sei. Er werde weder eine Entschädigung akzeptieren noch ein Lösegeld, sondern es vorziehen, jeden Ungläubigen auf dem Globus zu töten. Auf diese Weise würden die Heere beider die Erde Gottes wie Verbrecher gnadenlos ausrotten. Sie behaupten, die Gemeinden aller Gelehrten seien sich in diesen Ansichten einig. Ihre Vorfahren hätten ihnen solche Vorhersagen gemacht. Ihre Überlieferer hätten für ihre Nachkommen ebendiese Botschaft überbracht. Viele Menschen hätten ebendies von ihren Vorfahren gehört.
Ich bin mir sicher, dass alle in diesem Textabschnitt eines gedacht haben: „Er beschreibt haargenau den Todeskult des IS!“ – Und ja, diese Ansicht ist der Nährboden für den IS, die sich in der Zeit von Hadhrat Ahmad (as) so stark unter den Muslimen durch falsches Wissen verbreitet hatte, dass er sich zur heiligen und göttlichen Lebensaufgabe machte eben diese falschen Ansichten vom Islam zu befreien, damit das wirkliche Islamverständnis nach vorne kommen möge. Er schreibt weiter:
Ich halte diese Ansichten nicht für richtig und wahr! Wir erachten sie nicht als Aussagen, die vom Heiligen Propheten (saw) stammen. Vielmehr sehen wir sie als falsch und verwerflich an. Mein Herr hat mir das Wissen gegeben, dass all dies falsch ist und unser Prophet (saw) keineswegs eine solche Lehre gegeben hat. Diese Menschen begehen einen Fehler. Jene Religion, auf die Allah uns geführt hat, ist eine Religion der Sanftmut, des Mitgefühls und der Liebe. Sie lehrt weder Totschlag noch Gefangenschaft. Sie lehrt nicht, Kriegsbeute zu sammeln. Dies ist die Wahrheit für unser Zeitalter und ich gehöre zu jenen, die die Wahrheit erkannt haben.
Aufgrund dieser Worte bin ich ein Anhänger dieser Lehre, der Lehre des – meines Erachtens nach – wahren Islam.
Wahrlich, das Gebot des Dschihad galt nur für die ersten Tage des Islam. Es galt nur für den Schutz des Lebens der Muslime und beschränkte sich nur auf die Rache und das Töten von Mördern. Denn die Muslime waren in der Minderheit und die Ungläubigen in der Überzahl, machtvoll und verbrecherisch. Den Gläubigen wurde erst nach einer langen Zeit des gegen sie verübten Unrechts und des Leidens die Erlaubnis zum Krieg gegeben. Zuvor wurden sie abgeschlachtet wie Lämmer und Kamele. Die Zeit, in der sie Unrecht erleideten und Verfolgung ausgesetzt waren, wurde lang und länger. Unrecht und Leid hatten die Oberhand gewonnen. Die Feindschaft wuchs ins Extreme, bis das Schreien und Weinen der Schwachen Gehör fand und ihnen die Erlaubnis zuteilwurde, gegen jene Ungläubigen zu kämpfen, welche die Mörder ihrer Brüder und Söhne waren. Ihnen wurde geboten, die Mörder und ihre Handlanger zu töten, doch das Maß nicht zu überschreiten. Denn Allah liebt die Maßlosen nicht. Auf diese Weise wurde das Gebot des Dschihad erlassen. Im Glauben gibt es keinen Zwang. Menschen dürfen zu nichts gezwungen werden. Propheten werden nicht als Verbrecher gesandt, vielmehr erscheinen sie wie ein fortwährender Regen der Barmherzigkeit. Sie kämpfen nur, nachdem ihnen vonseiten der Feinde großes Leid widerfuhr, nachdem die Feinde getötet, Verbrechen an ihnen begangen und sie in Gefangenschaft genommen haben, ja, die Feinde in ihrem Übel alle Grenzen überschritten haben. Diese Praxis wurde aber für diese Tage aufgehoben, da derartige Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Uns wurde geboten, uns auf die gleiche Weise gegen die Ungläubigen in Stellung zu bringen, wie diese sich gegen uns in Stellung bringen. Solange wir nicht mit dem Schwert bekämpft werden, dürfen wir das Schwert nicht erheben. Und ihr seht ja, dass die Christen uns nicht wegen Glaubensdingen töten.
„Dschihad“ heißt auf Arabisch „Anstrengung“ und ist in erster Linie der Kampf/Anstrengung gegen das eigene Ego. Es gibt verschiedene Formen des Dschihad, der „kleinste Dschihad“ ist der Verteidigungskrieg, den Hadhrat Ahmad (as) anspricht und welcher in äußerster Not und existenzieller Bedrohung zum Einsatz kam. Jener Verteidigungskrieg ist heute jedoch nicht von Nöten, da es keine religiösen Kriege gibt, sondern politische.
Wisset, dass die Zeit des Dschihad mit dem Schwert vergangen ist. Nur der Dschihad der Feder des Gebets und der großartigen Zeichen ist übrig geblieben. Gewiss haben jene, die glauben, dass der Dschihad mit dem Schwert bei der Ankunft des Imam zur Pflicht gemacht werden wird, einen Fehler begangen. Und wir sprechen inna lillahi (Wahrlich, Allahs sind wir) aufgrund ihres Irrgangs. Dieser Fehler geschieht nur deswegen, weil man nicht genug über die Ahadith des Heiligen Propheten (saw) nachdenkt, keinen Unterschied zwischen den falschen und richtigen Ahadith macht und den eigenen Wünschen folgt. Wie bedauernswert sind jene Menschen, die wissen, dass die Hadith über einen kriegerischen Mahdi Majruh und falsch sind. Trotzdem warten sie aufgrund mangelnder Sehkraft auf seine Ankunft. Sie sagen nichts, das auf Weitsicht und Sehvermögen beruht. Sie bedienen sich weder schriftlicher Quellen noch logischen Argumenten, um Wissen zu erlangen, obwohl sie doch gelobten, dass sie sich für die Ziele des Islam mit Eifer einsetzen würden. Sie hatten versprochen, keiner Rede zu folgen, die der des Heiligen Propheten (saw) widerspräche. Doch zweifelsohne ist ihr Dasein eine Verkörperung des Übels, welches den wahren Glauben befallen hat. (…) Einige von ihnen folgen den Anderen ohne Gebrauch von Vernunft und Weisheit.
Der „Dschihad mit dem Schwert“ ist der Gebrauch von Wissen, Logik, Vernunft, Intellekt und sprachlichem Niveau.
So haben sie (Anm. von mir: die muslimisch religiösen Anführer) aufgrund ihrer eigenen Torheit die Religion Allahs zur Zielscheibe von vorurteilsvollen Kritikern gemacht. Sie haben sie zu einem Spielball für die weltlichen Leute gemacht. Das sind Menschen, die die Weisheit hinter der Religion und die subtilen Aspekte der Scharia vergessen haben. Sie sind zu Anführern eines Volkes von Toren geworden. Sie erlassen Edikte (Anm. von mir: Edikte = Fatwas), ohne jegliches Wissen. Sie sind religiöse Führer, wissen aber nichts. Sie tun nicht das, was sie predigen. Sie haben nichts mit den Weisheiten des Qur’an zu tun. Sie folgen nicht den Männern, die diesen Weg gingen. Sie predigen, ohne zu wissen, was aus ihren Mündern herauskommt. Sie sind weder mit Weitsicht noch mit Vernunft begabt. Sie gehören nicht zu jenen, die sich vor Gott verbeugen. Gewiss ist das Maß ihres Wissens äußerst gering und mangelhaft. Fürwahr sind ihre Herzen der Welt zugeneigt und ihr verfallen. Wie können sie also die wichtigen Angelegenheiten der Religion verstehen? Wie können sie eine Vorstellung über die Weisheiten dieser vollkommenen Scharia haben?
Hier klingeln für mich viele Namen: Pierre Vogel mit seinen Höllendröhungen und „das sind Kuffar!“ und „die sind Kuffar!“, Abul Baraa, Abou Nagie und viele weitere salafistische Prediger aus Deutschland. Genau solche Prediger spricht Hadhrat Ahmad (as) in an. Das Interessante ist, und ich kann es nicht oft genug wiederholen, dass diese Worte über 100 Jahre alt sind. So alt wie der Islamismus selbst. Wie ich sagte, ist die Kritik von Hadhrat Ahmad (as) am Islamismus Lösungsorientiert. Er schreibt:
Gewiss können göttliche Weisheiten nur jenen zugänglich sein, die reinen Herzens sind. Die Tore des Glaubens öffnen sich nur jenen Menschen, die sich gänzlich Gott zuwenden und standhaft in ihrer Entschlossenheit sind. Nur solche Geister werden mit Weisheiten erleuchtet, die ständig darum bemüht sind, sich dem Dienst am Gnädigen Gott zu widmen. Für solche Menschen, die sich in das Feld der Debatten begeben und mit aller Kraft in die Fluten der Debatten hineinstürzen; [wiewohl es] unabdingbar [ist], dass sie ein außerordentlich hohes Maß an Wissen über die arabische Sprache besitzen. Sie müssen von der Quelle des literarischen Wissens übergossen worden sein.
Sie sollten Wissen über die Feinheiten und Methoden der Sprache besitzen. Sie sollten der Fähigkeit mächtig sein, Metaphern auf die beste Weise zu verwenden. Sie sollten die Fähigkeit besitzen, Dinge verständlich zu formulieren. Sie müssen die Redewendungen der Sprache kennen. Sie sollten die grundlegenden Gesetze beherrschen, die es ihnen ermöglichen, sich vor sprachlichen Fehlern und Fehlern des Verstands zu beschützen.
Sehr interessanter letzter Absatz, wenn man das Thema aus dem Aspekt des „Framing“ betrachtet. Weiter die muslimischen Gelehrten der heutigen Zeit ansprechend, schreibt er:
Diese Leute indes besitzen keineswegs solche Fähigkeiten. In ihren Händen befinden sich nichts als Fabeln und Legenden. Sie sind es wert, beweint zu werden. Warten sie auf einen kriegerischen Mahdi, der Blut vergießt, Feinde tötet und Schädel durchbricht? Der den Islam mit dem Schwert verbreitet? Solche Vorstellungen lassen sich weder durch die Hadith noch durch den qur’anischen Text belegen. Vielmehr sprechen dieselbigen nach Ansicht der Gelehrten gegen eine solche Vorstellung. Ebenso wenig kann der gesunde Menschenverstand solche Ansichten akzeptieren. Die einfache Vernunft widerspricht dem.
Frage also jene, die nachdenken. Du weißt auch, dass unser Zeitalter ein solches ist, in dem niemand uns aufgrund unseres Glaubens mit dem Schwert oder dem Speer angreift. Niemand zwingt uns, seinem Glauben zu folgen und die Religion Allahs, welche die beste der Religionen ist, zu verlassen. (Anm. von mir: die Rede ist vom 19. Jhd. – die Entwicklungen in manchen sog. „islamischen“ Ländern heute ist davon ausgenommen). In diesen Zeiten bedürfen wir also weder der Kriege noch der Rache. Wir müssen weder unsere Speere schärfen noch unsere Schwerter aus ihren Scheiden ziehen. Diese Dinge gehören vielmehr zu einer Lehre, die ungültig gemacht, und zu Vorgehensweisen, die geändert wurden. Kriege und Feldzüge sind überflüssig geworden. An ihrer Stelle sind das Belegen seines Anspruchs durch offenkundige Argumente, das Überzeugen dadurch und das Aufzeigen von wahren Beweisen getreten. Ebenso wurden an ihrer Stelle leuchtende Zeichen und große Wunder gesetzt. Gewiss ist in unserer jetzigen Zeit die Notwendigkeit des Stärkens des Glaubens und der Niederkunft von leuchtenden Zeichen durch den Gnädigen Gott größer geworden.
Blut zu vergießen und Köpfe einzuschlagen ist sinnlos. Vielmehr fördert eine derartige Handlungsweise die gegenseitigen Zweifel und die Zwietracht untereinander. Jener wahrhaftige Mahdi, dessen [Erscheinen] dieses Zeitalter bedarf, ist kein Mann, der Waffen trägt und sich mit der Kriegskunst und dem Gebrauch von Waffen und Speeren brüstet. Die Wahrheit ist vielmehr, dass derartige Künste in einer derartigen Zeit für die Religion schädlich sind. In den Herzen der Menschen würden solche Praktiken Zweifel und Hass gedeihen lassen. Sie würden denken, die Muslime seien ein Volk, das nur versucht, durch Schwerter und Speere die Leute einzuschüchtern. Das einzige, was sie könnten, wäre, Menschen zu töten.
Und genau das ist auch seitdem geschehen. Durch das ständige mediale Wiederholen islamistischer Anschläge ist dieses Denken fast schon zur Normalität geworden. Das Konjunktiv, dass Hadhrat Ahmad (as) an dieser Stelle benutzt, ist zur bitteren Realität geworden.
Jener Imam (Anm. von mir: religöser/spiritueller Anführer) also, den die suchenden Herzen dieser Zeit herbeisehnen und auf den die Menschen wie Hungrige auf ihr Festmahl warten, muss ein rechtschaffener Mann sein, mit hohen moralischen Werten und mit Eigenschaften, die zivilisiert und liebenswert sind. Er muss zu jenen Menschen gehören, denen Weisheit und Erkenntnis zuteil wurden; er muss mit Argumenten und Beweisen ausgestattet sein. Er muss ein Mensch sein, dessen Wissen über Gott das von allen anderen Menschen überragt. Er muss jemand sein, der seine Zeitgenossen hinsichtlich des tiefen Wissens über das göttliche Gesetz überragt. Er muss mit einer solchen Rede ausgestattet sein, die eine tiefe Wirkung auf die Anwesenden hinterlässt. Seine Worte sollten derart sein, dass gewöhnliche wie besondere Menschen ihre Schönheit erkennen. Er muss über eine derart vollendete Rede verfügen, die einer Kette von Perlen gleicht. Er sollte spontan dazu in der Lage sein, über tiefe Weisheiten, hängenden Früchten gleichend, zu sprechen. Er sollte die vollendete Fertigkeit besitzen, schöne Antworten zu geben. Er muss entschlossen sein. Er muss Herr solcher Rede sein, die dem Verstand zugänglich ist und in die Herzen eindringen kann. Er sollte die Gegner, welche Strategie sie auch wählen, sprachlos machen können. Seine Wörter sollten immer in der Lage sein, die Leugner zum Schweigen zu bringen.
Welch‘ edle Eigenschaften für einen Menschen, die erstrebenswert sind. Kein Gebrauch von Waffen, Gewalt o. Ä. — das ist die Lehre des Islam. Das ist konstruktive Kritik, die sich an Lösungen orientiert und wirkliche Konzepte anbietet, die zum Frieden führen können.
In dieser Zeit ist es allein die Waffe der Wörter, die als eigentliche Waffe verwendet werden kann. Ich sehe in dieser Zeit keine Wirkung von Speeren, doch Argumente, Beweise und Zeichen sind es, die eine Wirkung entfalten können. Der Imam dieser Zeit ist also jener Mann, welcher der Ritter auf dem Feld der Gotteserkenntnis ist. Er wurde von Gott mit allerlei Argumenten ausgestattet, unterstützt durch die Methoden und Zeichen des vollständigen und vollkommenen Beweises. Darüber hinaus ist er derjenige, der die meiste Erkenntnis über das Buch Gottes, den Heiligen Qur’an, besitzt, damit er durch ihn die Feinde Gottes warnt und die Herzen der Suchenden heilt. Er besitzt die Macht über die Reform des Egos, dem größten Feind, so dass das Ego nicht entgleitet und sich der Allmacht Gottes bei zu gesellen versucht. Er ist ein Mann, der auf Gott vertraut, Demut zeigt und mit äußerster Geduld und Inbrunst für die Erhabenheit des leuchtenden göttlichen Gesetzes betet. Er ist gütig den Geschöpfen Gottes gegenüber und versucht mit aller Kraft, ihnen zu helfen und betet für sie mit äußerstem Schmerz. Er vergisst keinen einzigen aufrichtigen Menschen, auch wenn jener auf einem weit entfernten Kontinent lebt. Er streitet sich mit Gott wie Abraham (as) für die verzweifelten Menschen seiner Gemeinschaft. Er genießt Ehre beim allmächtigen Gott. (…)
Er führt, wie hilfsbereite junge Männer, schwache und erschöpfte Menschen zu ihren Zielen.
Keine Führung von „oben herab“, sondern „leading by example.“ — Hadhrat Ahmad (as) hat sehr hohe moralische Ansprüche und Aufgaben erwähnt, die für viele unrealistisch klingen, vielleicht manche sogar sagen würden „so einen Menschen/Anführer gibt es nicht! vor allem nicht als Muslim!“ und andere würden sagen „leeres Gerede! wenn er so toll ist, warum hat er es nicht selbst getan?“ — Er hat es getan: Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (as) hat den Anspruch erhoben jener Mensch zu sein, der eine spirituelle Reformation in andere Menschen hervorrufen kann. Jene Revolution, die vor 1.400 Jahren auf der arabischen Halbinsel stattfand und ihr Licht kurz davor war sich in völliger Dunkelheit zu verwandeln. Hadhrat Ahmad (as) schreibt weiter:
Doch als ich zu ihnen kam, kehrten sie ihrem eigenen Wissen den Rücken zu und wurden zu den größten Feinden. Wenn sie das Schwert der britischen Regierung nicht fürchteten, hätten sie mich gewiss durch Schwerter und Speere getötet. Doch Gott hat sie durch diese gütige Regierung daran gehindert. Wir sind also Allah dankbar. Und wir danken dieser Regierung, die Allah zum Mittel für unsere Errettung vor den Händen der Tyrannen gemacht hat. Gewiss hat sie unsere Ehre, unser Leben und unser Eigentum vor den Dieben beschützt. Warum sollen wir nicht dankbar sein, wenn wir doch im Schatten dieser Regierung in Frieden und sorglos unser Leben verbringen können? Wir wurden vor vielerlei Demütigung gerettet. Ihre Ankunft ist eine Ankunft der Ehre und der Segnung. Wir haben unser letztendliches Ziel durch einen Zustand des weltlichen Friedens und des Schutzes erlangen können.
Ihr (Anm. von mir: der Regierung) gegenüber gehorsam zu sein und mit reiner Absicht und für ihren Wohlstand und Schutz zu beten, ist also eine Pflicht. Sicherlich hat sie uns mit ihrer Macht nicht zu Gefangenen gemacht, sondern unsere Herzen mit ihrer Glorie und Güte und Erweisung gewonnen. Es ist also eine Pflicht, ihr und ihren Erweisungen Dankbarkeit zu zeigen. Ihr gegenüber gehorsam zu sein, ist eine Pflicht. Ihren Herrschern zu gehorchen, ist eine Pflicht. (…)
Der Verfasser Mirza Ghulam Ahmad von Qadian, 21. Februar 1899
In diesem Kontext des Schutzes vor einer Terrorgefahr durch Islamisten hat sich Hadhrat Ahmad (as) bei der Regierung genauso bedankt und ihr gegenüber zur Loyalität aufgerufen, wie es der Imam aus Neuseeland gegenüber der neuseeländischen Regierung ihrer Premierministerin getan hat.
Diese Worte aus einem kleinen Auszug, sind zwar 120 Jahre alt, aber auf die heutige weltweite Situation betrachtet von äußerster Wichtigkeit. Vor allem aber bleibt es nicht nur bei Worten, Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (as) hat durch das Vorleben der richtigen islamischen Praxis eine Bewegung ins Leben gerufen, die heute Millionen von Anhängern hat. Durch das spirituelle System das islamischen Kalifats manifestiert sich die Lehre von Hadhrat Ahmad (as), welche keine neue Lehre ist, sondern jene Lehre wiederspiegelt, die vor 1.400 Jahren schon ein Mal eine Revolution hervorrief: die Lehre des Propheten Muhammad (saw).
Ich gehöre der Ahmadiyya Muslim Lehre an und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Lehre nicht nur das Problem „Islamismus“ lösen kann, sondern für dauerhaften Frieden sorgen kann. Wer bis hierhin den Artikel komplett gelesen hat, hat die Themen „Islamismus“ im Kontext der Lehre der Ahmadiyya Muslime verstanden.