Wie ich als Muslim im christlichen Celestialen Saal zu Allah betete

Ich saß also da, im berühmten „Celestialen Saal“ der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (HLT). In diesem Saal kehrt man in sich ein, man meditiert oder betet. Ich betete also auf meine Art, um genauer zu sein: auf die islamische Art. Es war ein Bittgebet, kein rituelles Gebet. Nein, ich betete nicht für die Islamisierung des Abendlandes. Ich dankte Allah für diese Gelegenheit, ich betete für meine Mitmenschen, für Ralf Grünke, der mich per E-Mail für diesen Tag einlud, ich betete für die Dame, die auf meine Arbeit als Aktivist in den sozialen Medien gegen den Extremismus Aufmerksam wurde und mich der Gemeinde in Friedrichsdorf empfahl, ich betete für Michael Cziesla, der mich durch die vielen Räume seiner Kirche führte. Ich lies die Inspiration des Raumes, der wunderschön seidig und hell aussah, in meinen Gebeten einfließen. Es war ein schönes Gefühl, abseits vom hektischen Alltag, ein vertrautes Gefühl.

Ralf Grünke ist der Pressesprecher in Deutschland der HLT, welche nebenbei bemerkt den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt. Die E-Mail fing so an: „Sehr geehrter Herr Ahmad, erstmals nach 32 Jahren laden wir Medienvertreter ein …“ – Ich fühlte mich zwar geehrt, war dennoch etwas über den Titel „Medienvertreter“ verwundert, ich meine okay: über meinen Twitter-Kanal erreiche ich zwar 1-2 Millionen Menschen pro Monat, aber ein „Medienvertreter“ bin ich nicht, jedenfalls sehe ich mich nicht als solchen. Doch scheinbar – und das erfreut mich überaus – erreiche ich tatsächlich sehr viele Menschen auf die meine Texte einen gewissen Einfluss haben.

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Christen, die der HLT angehören, werden auch „Mormonen“ genannt, jedoch wird dieser Begriff oft hämisch/spöttisch als Abwertung benutzt. Für mich sind es Christen. Punkt. Jedenfalls wollte ich Ralf, bevor wir uns in der HLT in Friedrichsdorf treffen, einmal persönlich kennen lernen. Er lud mich zum Frühstück ein, wir lernten uns besser kennen – mein Eindruck über seine Wahrnehmung gegenüber Muslimen war sehr positiv. Seine Wahrnehmung war viel feiner als ich erwartet habe. Er war in Sachen Mainstream-Sunni-Muslimen und deren Position gegenüber meiner islamischen Ahmadiyya Gemeinde sehr gut informiert. Hierzu sei gesagt, dass die abwertende Haltung von Mainstream-Christen gegenüber Christen der HLT nahezu identisch mit der abwertenden Haltung von Mainstream-Sunni-Muslimen gegenüber Ahmadiyya-Muslimen war.

Soziale Abwertung führt auf kurz oder lang zur Radikalisierung von bestimmten Gruppen in einer Gesellschaft. Diese Radikalisierung, die sich darin zeigt, dass eine Gruppe sich gegenüber einer anderen überlegener fühlt und diese im nächsten Schritt unterdrückt, diskriminiert, verfolgt und schließlich versucht sie dem Erdboden gleichzumachen, heißt: Soziale Abwertung führt zum Extremismus, wenn eine Gruppe sich über eine andere Gruppe erhebt. Die Geschichte der Christen der HLT und der Ahmadiyya-Muslime ist durchtränkt von Hass, Verfolgung, Hetze und Terror von ihren eigenen vermeintlichen „Glaubensbrüdern“.

Aber noch Mal zurück zum Rundgang!

Ich wurde sehr herzlich von der Gemeinde empfangen, mir wurde alles in Ruhe erklärt und ich durfte Fragen stellen. Die Atmosphäre war friedlich, nicht befremdlich, sondern vertraulich, heimisch. Ich habe das Bild einer Gemeinde gewonnen, die sich für Frieden, Zusammenhalt und vor allem Gerechtigkeit einsetzt. Es ist schon paradox, dass gerade jene, die verfolgt, diskriminiert und angefeindet werden, auch jene sind, die zum Frieden aufrufen. Hier fällt mir das berühmte Zitat von Jesus, auf dem der Friede Gottes sei, ein: “Vater, vergib ihnen , denn sie wissen nicht was sie tun.” (Lukasevangelium)

Abschließend möchte ich mich bei der Gemeinde bedanken und wünsche ihnen Gottes Segen.

10 Comments to “ Wie ich als Muslim im christlichen Celestialen Saal zu Allah betete”

  1. Der Papst hat Recht er fordert mehr Islamkenntnis im Theologiestudium
    Papst Franziskus will das katholische Theologiestudium reformieren. Judentum und Islam sollen ihren Platz darin finden. Damit setzt Franziskus in Zeiten anhaltender Gewalt gegen Christen ein versöhnliches Zeichen. Gottes Segen !

  2. Wolfgang Titz sagt:Antworten

    Das ist wirklich ein sehr bemerkenswerter Beitrag. Meine Einschätzung ist, dass dahinter der höfliche, achtungs- und respektvolle gegenseitige Umgang zweier Menschen mit diametral unterschiedlichen religiösen Ansichten steht. Ich frage mich, warum das in der Politik oder den „sozialen“ Medien nicht geht. Danke vielmals, Bruder.

  3. Ulrike Ferrante sagt:Antworten

    Danke für diesen offenen, ehrlichen und dankbare Beitrag!
    Während der „Interkulturellen Woche“ in Michelstadt besuchte ich u. A. die Alevitische Gemeinde. Einige Mitglieder dort kannte ich bereits. Beim Verabschieden sprachen wir über eine Frau in Not, die weder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage angehört, in der ich seit 30 Jahren Mitglied bin, noch der Alevitischen Gemeinde. Wir tun was wir können für diese uns andere. Das ist gelebtes Evangelium für mich : Wahrzunehmen da ist jemand in Not und zu helfen, mit anderen, unabhängig von deren Glauben. Jeden als Menschen sehen. Vorurteile und Ängste kann ich nur abbauen, wenn ich Menschen kennen lerne, Dank Gott, Allah, Jehova… ❤️

  4. Rust , Hildergard sagt:Antworten

    Wir alle sind Gottes geliebte Kinder. Unabhängig von unsere Religion und unseren Ansichten. Wer bin ich, das ich Gottes bunten Blumenstraus kritisieren und verunglimpfen könnte. Dankbar sein, das es uns alle Gibt. Das ist wichtig.

  5. Annegret Kokemoor sagt:Antworten

    Vielen Dank für den netten Bericht. Er hat mich sehr berührt. Wir glauben, dass alle Menschen, egal welche Religion, Hautfarbe, politische Gesinnung oder Kultur Gottes Kinder sind. Jesus hat uns gelehrt, dass wir Gott mit allem, was wir haben, lieben sollen. Das ist das wichtigste Gebot. Das 2. wichtigste Gebot ist, dass wir einander lieben sollen, so wie wir uns lieben. Ich habe schon oft tolle Gespräche mit anders glaubenden Menschen gehabt. Und jedesmal lerne ich mehr über ihren Glauben und ihre Gefühle dazu.
    Ich bin sehr dankbar, ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu sein. Ich respektiere die Menschen , die einen anderen Glauben vertreten. Es gibt nur einen Gott der jeden von uns von ganzem Herzen liebt. Das sollten wir immer im Hinterkopf behalten. Er will, dass es uns gut geht.

  6. Sigrid Hübner sagt:Antworten

    Sehr schön geschrieben! Einander Achten und Verstehen ist etwas Göttliches. Wenn alle Menschen das begreifen lernten, hätten wir Frieden auf Erden.

  7. Ein Christ sagt:Antworten

    Der Koran und die Bibel findn oft die gleichen Worte. Christen und Muslime sind nicht so weit voneinander entfernt. Radikale auf beiden Seiten ausgenommen.

  8. A. Wiborny sagt:Antworten

    Danke für ihre schönen Gedanken.

  9. Ruth Grieser sagt:Antworten

    Danke für den Artikel. Bin sehr berührt von ihrem innigen Gebet. Der heilige Geist war zugegen.

  10. Aileen sagt:Antworten

    Unsere Nachbarn sind Ahmadiyya und wir Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Danke für den wertschätzenden Bericht. Wir empfinden gegenüber genauso. Allerdings war mir vor dieser Nachbarschaft nicht bewusst, wie viele Gemeinden der Ahmadiyya es gibt und wie sehr sie von Muslimen größerer Gruppierungen angefeindet werden.
    Liebe deinen Nächsten wie dich selbst /Liebe für alle, Hass für keinen!

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