Suleman Malik. Kein anderer Name versetzt Nazis in Thüringen in Angst und Schrecken wie dieser. Kein anderer Name ist auf ihren Nazi-Plattformen, wie „Erfurt zeigt Gesicht“, so omnipräsent wie dieser. 100 rassistische, anti-muslimische Kommentare. 2 Morddrohungen, 2 körperliche Übergriffe. Er wurde angespuckt. Er hat 4 Strafanzeigen erstattet. Alle wurden eingestellt. Das ist eine traurige und äußerst verstörende Bilanz eines deutschen Muslims, der sich aktiv gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit einsetzt und der nur eines möchte: ungestört seine Religion ausleben. Ich habe mit ihm gesprochen. Über eine neue Welle des Hasses, die ihn seit Kurzem überrollt:
ich-bin-muslim-vertrau-mir.de (IBMVM): Salam Bruder, wie geht es dir?
Suleman: Ich fühle mich wie am Nasenring durch die Arena gezogen. Dabei habe ich nur das Grundgesetz verteidigt. Ich fühle mich in der Forderung: überall dort wo Muslime leben sichtbare Moscheen zu bauen noch mehr verstärkt. Denn Moscheen sind heute für eine bessere Integration und Aufklärung wichtiger denn je. Extremisten wie diese Hasser wollen nur unsere Gesellschaft spalten. Diese Leute haben 0 Verständnis für Demokratie. Als Politiker setzte ich mich nicht nur für Muslime ein, sondern auch für meine jüdischen, christlichen und atheistischen Geschwister ein! Eine Sache noch: Können wir den Begriff „Moschee“ beiseite lassen, denn diese Nazis dominieren ja im Moment das Thema und besetzen das Wort Moschee in einer sehr negativen und herabwürdigen Art und Wiese, ich möchte gerne das Originalwort benutzen, es lautet „Masjid“!
IBMVM: Aber selbstverständlich! Das halte ich für eine sehr gute Idee! Du hast am Montag etwas gefordert, dass durch das Grundgesetz eigentlich geschützt wird. Doch genau jene, die dir Verfassungsfeindlichkeit vorwerfen, schreien nun herum, als hättest du ihnen eine Kriegserklärung geschickt. Kannst du mir kurz schildern, was geschehen ist?
Suleman: Auf dem Gelände unserer Masjid in Marbach wurde ein Aufkleber angebracht:
„Kein Moschee Neubau in Erfurt.“ (Quelle: https://twitter.com/sulemannmalik/status/1201521489419415553).
Dieser Tweet und die Reaktion von mir ist als #JetztErstRecht! zu verstehen. Deutschland ist ein freies Land, ein Land, dass religiösen Menschen Schutz bietet und bieten muss, weil es seine Pflicht ist. Unter diesem Schutz Masjids zu bauen ist keine Straftat und schon gar nicht, wenn man eine Masjid in jedem Dorf bauen will. Die Reaktion hierzu zeigt nur, dass Deutschland ein krasses Problem mit religiösen Menschen hat.
IBMVM: Aber in jedem Dorf eine Moschee zu bauen ist schon beachtlich. Ich verstehe jedoch deinen Aufruf nicht als Kriegserklärung, sondern als eine Antwort für jene, die mit allen Mitteln gegen den Bau von Moscheen, pardon „Masjids“, gehen wollen, sei es mit Hetze, Hähme, Beschädigung oder sogar durch Morddrohung, d.h. durch Gewalt und Terror, richtig?
Suleman: In Deutschland gibt es über 45.000 Kirchen (evangelische, katholische, usw.) und es gibt dem gegenübergestellt nur ca. 150 Masjids, die auch als Masjids sichtbar sind (sunnitische, shiitische, usw.), wir reden hier nicht von „Hinterhofmoscheen“, oder klassischen Moscheen. (Quelle: https://twitter.com/_nasir_ahmad_/status/1063343317285523456). Deutschland hat ein Problem mit offen gelebter Religiosität. Dies zeigt nicht nur seine Geschichte, sondern auch rechtsextremistische Anschläge auf religiöse Gebäuden in der jüngsten Zeit, seien es Masjids oder Synagogen. Das Vorhaben Masjids in jedem Dorf zu bauen geht natürlich auch der Voraussetzung hervor, dass es dort Muslime geben muss, die eine Masjid benötigen.
Viele religiöse Menschen haben Angst ihre Religiosität offen und ehrlich zu praktizieren, weil sie sich schämen, weil sie mit schiefen Blicken angeschaut werden, weil sie mit Hass überschüttet werden und weil sie dann als Resultat Angst haben. Ich habe auch Angst. Fast jeden Tag erhalte ich Drohungen und Erniedrigungen durch Nazi-Gruppen, wie beispielsweise auf Facebook: „Erfurt zeigt Gesicht“, ist eine rassistische Islamhasser Seite. In den Kommentaren steht dann sowas wie: „Der Tag wird kommen und dann werdet ihr das Rennen lernen und zwar bis zum……!!!!!!“, oder „Jeder bekommt das, was er auch verdient!!! ?? (Feuer und Bomben-Symbol). Solche Kommentare sind für mich Alltag geworden. Nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch in der Realität.
IBMVM: Das Bekenntnis zu seinen Werten, seien es religiöse oder politische, scheint Menschengruppen zu mobilisieren, die sich dann wie ein Mob zusammentun. Was kann man dagegen tun?
Suleman: Sawsan Chebli hat zuletzt eine Morddrohung durch Nazis bekommen. Dort heißt es, dass sie aus ihrem Amt des Staatssekretariats zurücktreten soll, ansonsten werde sie ermordet. Nach ihr erhielt Dunja Hayali dieselbe Morddrohung. Kommunale Politiker erhalten Morddrohungen. Politiker, die sich für Muslime oder für Geflüchtete einsetzen, Flüchtlingshelfer und all jene, die sich mit marginalisierten Gruppen und muslimischen Minderheiten solidarisieren, sie alle erhalten Morddrohungen. In der Morddrohung gegenüber Fr. Chebli ist auch die Rede von Anschlägen auf Muslime und Schwarze. Es sind Morddrohungen, die wir nicht mehr ignorieren können, sondern mit Widerstand beantworten müssen. In Deutschland herrscht zudem eine krasse Schieflage was das Ausüben der Religion in der Öffentlichkeit angeht. „Rechtsextremisten“, „Konservative“, „Islamkritiker“, „Rechtspopulisten“, „Rechtsradikale“, wir haben so viele Begriffe für diese Leute, aber kein Begriff beschreibt den unsäglichen Hass auf Musliminnen und Muslime. Dem wird einfach zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Du hast gefragt, was man dagegen tun kann? Ich habe eine Waffe: meine Stimme. Stimme erheben, sich Raum schaffen, den Raum, den diese Menschenhasser mittlerweile in unserer Mitte eingenommen haben. Was ist die Alternative? Sollen wir dasitzen und auf besseres Wetter warten? Sollen wir aufgeben? Nein. Wir werden weitermachen, wir werden unsere Religion in vollen Zügen in der Öffentlichkeit praktizieren und ausleben. Wir werden Masjids bauen und ja, wir werden Masjids in jedem Dorf bauen, denn wir werden uns nicht verstecken, wir werden uns nicht isolieren, wir wollen offen und transparent sein, wir wollen unseren Mitmenschen Schutz bieten, Schutz und Trost: in unseren Moscheen. Denn Masjids sind Orte des Friedens, Orte der Zusammenkunft, Orte der Begegnung. Für alle Menschen. Das ist ein langer Prozess und wird nicht von heute auf Morgen geschehen. Unsere Generation wird Masjids bauen und die Generation danach wird Masjids bauen und dann die danach. Und sie werden Menschen Zuflucht geben. Vor dem Hass jener, die die Freiheit anderer bedrohen.
IBMVM: Nun ist es aber so, dass diese Leute, so ähnlich wie es auch damals in den 30ern war, mit Negativbeispielen kommen, heute sagen sie: „In eurer Moschee wird Hass gepredigt!“, und zitieren dann ihre Helfer, sogenannte „Islamkritiker“. Früher kriminalisierten sie Juden, indem sie Narrative schafften, die Juden mit der Zeit zu Feindbildern machten. Ich will hier überhaupt nicht das eine mit dem anderen ausspielen, sondern lenke die Aufmerksamkeit auf gewisse Parallelen, denn früher warnten diese Faschisten vor einer „Judaisierung“, während sie heute von einer „Islamisierung“ sprechen. Was antwortest du aber jenen, die damit kommen, dass in Moscheen Hass gepredigt wird?
Suleman: Es gibt extremistische Muslime. Es gibt den sog. „Islamismus“, wenngleich ist das Wort vermeide. Aber ja, in einigen Moscheen wird Hass gegen Andersgläubige gepredigt. Das muss man offen und ehrlich als Muslim zugeben, sonst wird man unseriös. Ich habe nie gesagt, dass ich den „Islamismus“ gutheiße, im Gegenteil, in unseren Schriften ist von solchen Leuten bereits gewarnt worden. Sie wurden als die „schlimmsten Kreaturen unter dem Himmelszelt“ (Hadith: Mishkat, Kitabul Ilm) bezeichnet und das vom Propheten Muhammad (saw) höchst persönlich. Diese muslimischen Hassprediger (und „muslimisch“ benutze ich hier als Faktum, nicht als Wertung) wurden und werden vom Staat bekämpft. Aber bis vor Kurzem eben nicht so wie Rechtsextremisten. Und das muss sich ändern. Rechtsextremisten muss man genauso wie „Islamisten“ in die Schranken weisen und jeden, der mit ihnen sympathisiert, sie unterstützt oder liebäugelt.
IBMVM: Ich danke dir für das offene Gespräch. Hast du noch ein abschließendes Wort zu sagen?
Suleman: Ich habe seit dem Tweet weitere Drohungen bekommen, manche im Minutentakt. Genau wie jene Politikerinnen und Politiker, die von diesem rechten Hass betroffen sind, sage auch ich: hasst soviel ihr hassen wollt, droht soviel ihr drohen wollt, aber ihr werdet uns nicht spalten, ihr werdet uns nicht klein kriegen! Deutschland ist nicht nur euer Land, sondern auch unser, die wir hier hart arbeiten, die wir hier dieses Land mitgestalten. Euer Hass ist unser Antrieb!